Wenn der Krebs zurückkommt, nicht behandelt werden kann oder der Körper die Behandlung nicht (mehr) verkraftet, dann fallen Worte wie „austherapiert“ oder „wir können leider nichts mehr tun, um den Krebs aufzuhalten“, dann ist das Ende der Lebenszeit absehbar. Für Viele beginnt dann die schwierigste Zeit der Krebserkrankung. Sie können nicht von heute auf morgen vom Kampf- und Hoffnungsmodus in den Abschiedsmodus wechseln und sind gefangen in ihren Gefühlen.
Dann kann man beobachten, dass viele Paare oder Familien quasi um sich herumtanzen. Das ist für nicht Beteiligte ganz offensichtlich erkennbar und durchaus nachvollziehbar. Die Beteiligten jedoch erahnen höchstens, dass sie sich gerade der Realität verweigern und einer Illusion hingeben. Sie wollen bzw. können zu diesem Zeitpunkt noch nicht der Wahrheit ins Auge sehen: Ihr liebster Mensch wird in naher Zeit sterben. Manchmal bleiben nur noch wenige Tage um sich zu verabschieden. Das scheint so unvorstellbar, dass man weiterhin so tut, als gäbe es kein Lebensende.
Das liegt daran, dass wir nicht darauf vorbereitet sind. Wir haben nicht gelernt, über den Tod zu sprechen und uns von den Menschen zu verabschieden, die uns am nächsten stehen. Da sind so viele Gefühle, die uns überwältigen. Deshalb tanzen wir um einander herum und sprechen unsere Ängste, Wünsche und Trauer nicht aus. Wir wollen einander schonen und nehmen uns so die Möglichkeit, einander offen und ehrlich zu begegnen.
Haben alle Beteiligten die Augen vor einem möglichen Tod verschlossen und es wurden keinerlei Vorkehrungen getroffen, gibt es keine Vorsorgevollmacht, keine Patientenverfügung und man hat nicht darüber gesprochen, wo sie oder er seine letzten Tage verbringen, sterben möchte. Zuhause? Im Hospiz? Da es bisher leider nicht viele Hospizplätze gibt, sollte man sich so früh wie möglich auf eine Warteliste setzen lassen, wenn man diese Alternative wünscht.
Darum ist es mir so wichtig, darüber zu schreiben: Je eher wir über unsere letzten Wünsche sprechen und das Wichtigste regeln, desto besser! Ich kenne den Spagat, bis zuletzt mit dem Krebskranken auf einen guten Ausgang, auf eine Heilung oder überlebbare Chronifizierung von Krebs zu hoffen und trotzdem über einen möglichen Tod nachzudenken und sprechen zu müssen, sowohl aus persönlicher Erfahrung als auch aus meinem Berufsalltag. Ich habe allergrößte Achtung vor den Menschen, die es ohne Unterstützung schaffen, diesen Spagat zu vollziehen. Er erfordert sehr viel Kraft und sehr viel Mut. Zum Glück können auch Angehörige sich hierbei unterstützen lassen und um Hilfe und Rat fragen, wenn es in ihrem privaten Umfeld keine geeigneten Ansprechpartner gibt: bei Psychoonkologen, Sozialarbeitern, Seelsorgern, Pflegepersonal, Ärzten, ambulanten Hospizdiensten, Palliativmedizinern.
Manche Angehörige empfinden es als Verrat oder haben so große Angst vor dem Verlust des Erkrankten, dass sie solche Gespräche herausschieben oder gar nicht führen. Ich sehe das ganz anders: Wir zollen damit dem anderen großen Respekt und Wertschätzung seiner Person, wenn wir ihn fragen: Hast du noch Wünsche, die ich dir erfüllen kann? Von wem möchtest du dich verabschieden? Auch: Wen möchtest du auf keinen Fall mehr sehen? Wo möchtest du deine letzten Tage verbringen? Zuhause oder in einem Hospiz?
Inzwischen weiß man, dass Sterbende weniger Schmerzen haben, wenn sie sich entspannen können und dass sie eher loslassen und sterben können, wenn alles geklärt ist, was ihnen wichtig ist. Auch können Hinterbliebene so die Trauer besser und schneller verarbeiten.
Meine Familie weiß, dass ich nicht zuhause von ihr gepflegt werden möchte und mir eine Waldbestattung wünsche, da ich es sehr liebe, im Wald zu sein und kein Friedhofmensch bin. Das hat sicherlich damit zu tun, dass ich mich ihr nicht zumuten und selbstbestimmt leben und sterben möchte, aber auch damit, dass ich weiß, wie viel Ressourcen eine Grabpflege erfordert. Und ich weiß, wie sehr es Angehörige körperlich und vor allem seelisch belasten kann, Familienangehörige zu pflegen.
Es braucht Zeit für alle Beteiligten, sich an diese neue Situation zu gewöhnen. Das ist sicher nicht leicht, aber die Betroffenen sollten in Frieden gehen können und das wollen wir letztendlich doch alle. Deshalb sollten wir uns fragen, was wir im Fall des Falles möchten und was wir von unseren Hinterbliebenen wünschen und mit ihnen darüber sprechen, was sie leisten können, falls wir schwer erkranken. Es gibt inzwischen in allen Städten und auch auf dem Land ambulante Palliativdienste, die ein würdevolles Sterben zuhause ermöglichen.
Eine von mir sehr geschätzte Psychoonkologin hat in ihrer Patientenverfügung jedes kleinste Detail festgelegt, für den Fall, dass sie sich nicht mehr äußern kann und pflegebedürftig wird. Darin steht zum Bespiel, dass sie auf gar keinen Fall Schlagermusik hören möchte und keine Leberwurst mag, dass sie am liebsten ihre Katze im Bett hätte usw. Das liest sich erst einmal ein wenig skurril, aber letztendlich wissen alle, die die Verfügung kennen, was sie tun oder eben nicht tun müssen. Das ist eine große Hilfe für die Hinterbliebenen und ein letzter Liebesbeweis.
Ein Krebspatient erzählte mir, dass er Briefe an seine Frau schreibt, für den Fall seines Todes. Da sie mit ihm nicht darüber sprechen möchte bzw. kann, hat er diesen Weg gewählt, um ihr seine Wünsche mitzuteilen und um ihr die erste Zeit nach seinem Tod zur Seite zu stehen. Wenn ein Brief fertig ist, kommt er in den Tresor zu den anderen. Darin steht, wo sie nötige Unterlagen findet, wie er sich seine Beerdigung vorstellt, aber auch wie man die Heizung programmiert usw. Das hat mich sehr berührt. Ich finde das sehr fürsorglich und verantwortungsbewusst von ihm und ich glaube, dass diese Briefe ihr sehr helfen werden, wenn es soweit ist.
Wenn wir durch gemeinsame Gespräche vorbereitet sind, haben wir zumindest die Chance, den letzten Tanz des Lebens miteinander zu tanzen. Dann kann sogar eine Nähe entstehen, die uns trägt. Wir können uns gegenseitig halten, vielleicht sogar fallen lassen und so voneinander verabschieden, wie wir es uns wünschen und wie es uns und unserer gemeinsamen Beziehung entspricht.
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